Der breite Neustart des Präsenzunterrichts an den Schulen in Nordrhein-Westfalen ab diesem Montag ist fragwürdig. Während der Bund die Notbremse vorbereitet, beharrt Schulministerin Yvonne Gebauer darauf, Lehrer und Schüler müssten wieder häufiger zusammenkommen, weil nur so der Lernerfolg zu sichern sei. Tatsächlich ist es erstens ärgerlich, dass das Land den Schulen nicht mehr Wahlfreiheit gibt, sondern ein autoritäres Einheitskonzept durchprügelt.
Viele Kollegien haben den Distanzunterricht mit Videokonferenzen, Telefonaten und/oder gut vorbereiteten Hausaufgaben mittlerweile so gut weiterentwickelt, dass er bei älteren Schülern dem seltsamen Wechselunterricht überlegen sein kann. Zweitens führt es nur zu Verwirrung, von allgemeinem Präsenzunterricht zu reden, während täglich neue Kreise die Schulen nun doch nicht öffnen. Drittens ist ein breiter Unterrichtsstart ohne Impfangebot für Lehrer und Lehrerinnen auch an weiterführenden Schulen unverantwortlich. Sie müssen täglich mit Dutzenden Schülern umgehen, sie sollen sie bei den so sinnvollen Corona-Tests unterstützen. Es ist falsch, nur Pädagogen und Pädagoginnen an Grundschulen und Förderschulen zu immunisieren.
Gerade weil die Mengen an Impfstoff in den nächsten Wochen massiv zunehmen werden, sollte NRW Ländern wie Hessen, Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen folgen und die Impfkampagne auf alle Lehrer ausweiten. Vor einigen Wochen war es noch richtig, sich beim Impfen stark auf den Schutz gefährdeter Gruppen und sensibler Berufe zu konzentrieren, aber nun kann glücklicherweise breiter gedacht werden. Das sollte auch Ministerpräsident Armin Laschet berücksichtigen. Übrigens: In Bayern ist das Impfen aller Lehrer auch schon angekündigt worden.¹
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht den für Schulen im neuen Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Schwellenwert von 200 als zu hoch an, ab dem dann Präsenzunterricht verboten ist. „Ich halte die Situation an den Schulen für so brenzlig, dass das Ganze begrenzt werden müsste auf Inzidenzen unter 100“, sagte Lauterbach im Fernsehsender phoenix (Freitag, 16. April). Trotz der vorgesehenen Tests müsse man mit einer starken Verbreitung des Corona-Virus an Schulen und in den Familien rechnen. „Eltern gehen massiv ins Risiko“, so der SPD-Politiker. Schließlich sei in der dritten Welle neu, dass sich auch viele Jüngere ansteckten und an der Krankheit versterben könnten. Lauterbach plädierte dafür, das Lehrpersonal vorrangig zu impfen. „Selbstverständlich müssen die Lehrer und Erzieher geimpft werden, sonst ist die Teilnahme am Unterricht zu gefährlich.“
Deutliche Worte richtete Lauterbach an die Wirtschaft, die man stärker in den Fokus nehmen müsse, denn zahlreiche Infektionen würden am Arbeitsplatz stattfinden. „Die Betriebe haben sich bislang zu wenig an der Pandemie-Bekämpfung beteiligt. Wir werden sie stärker herannehmen müssen.“ Sowohl eine FFP2-Maskenpflicht am Arbeitsplatz sowie häufigeres Testen hielt der SPD-Gesundheitsexperte für sinnvoll. „Wir haben uns viel zu lange von den Betrieben sagen lassen, was alles nicht geht“, machte Lauterbach Druck und warnte schließlich: „Das wird zum Schluss darauf hinauslaufen, dass uns nichts anderes übrigbleibt wie in Irland, wo man die Betriebe dicht machen musste.“
Die in der Politik umstrittene Ausgangssperre befürwortete Lauterbach nochmals mit Nachdruck. Studien zeigten, dass die Ansteckungen durch diese Maßnahme um 15 Prozent sinken würden. „Das wird alleine nicht ausreichen, aber ohne würde es sehr schwer, die Inzidenz unter 100 zu bekommen.“²
¹Rienhard Kowalewsky – Rheinische Post ²phoenix-Kommunikation